Auf der documenta fifteen habe ich dieses Jahr Bekanntschaft gemacht mit einem ganz besonderen Maskottchen, das nicht nur ein ganz besonders großes Maul (und Herz) hat, sondern auch eine interessante Lebens-Geschichte zu erzählen weiß.
Wahrscheinlich war es das meist fotografierte Objekt und damit eins der beliebtesten Ausstellungsstücke auf der documenta in Kassel 2022. Davon abgesehen, dass es mit seiner imposanten Größe von über 3 Metern Höhe wohl auch die mit Abstand haarigste Kunst dort darstellte, war es einfach eine schöne Abwechslung zwischen all den ambitionierten Projekten aus fernen Ländern mit vielen komplizierten Wörtern in ihren Beschreibungen, etwas zum Anfassen und Liebhaben zu entdecken.
Mein Annäherungsversuch war zunächst etwas verhalten, aber schnell erkannte ich in Krümel eine verwandte Seele, die ich gern etwas näher kennen lernen und vorstellen wollte.
Berühmte Abstammung
Eigentlich ist er ja eine ausrangierte Bühnendekoration aus dem Bochumer Schauspielhaus, wo er viele Jahre lang für das gleichnamige Stück Moondog posierte und sogar Teile von ihm dank dreier Physical-Theater-Performern in Bewegung geraten konnten.
Hier könnt ihr ihn auf dem Höhepunkt seiner Karriere mit vollem Körpereinsatz sehen:
Das ganze Stück ist eine Homage an den Komponisten und Musiker Louis Thomas Hardin – „The Viking of 6th Avenue“ – anlässlich seines damals 100sten Geburtstages, der sich selbst nach seinem Blindenhund benannte und auf den Straßen von New York den Passanten seine irritierenden und erstaunlichen Kompositionen darbot. Bis es ihn in den 1970ern ins Ruhrgebiert verschlug, wo noch heute zahlreiche Anhänger seiner Minimal Musik zu finden sind.
Zur Kunst geadelt
Nach dem Absetzen des überraschend erfolgreichen Theaterstücks nahm sich das bundesweite Netzwerk „Initiativen für Materialkreisläufe“ dem überdimensionalen Kuscheltier an, um zu verhindern, dass sein trauriges Jaul-Konzert für immer auf der Müllhalde zu hören sein würde.
Etwas unverhofft, aber damit auch von einer Requisite zur angesagten Kunst aufsteigend, ist er – oder zumindest sein Vorderteil – wohl ursprünglich als riesiger Lückenfüller im Hübner-Areal gelandet und wurde dort während der Documenta Ausstellung 100 Tage lang von Besuchern geherzt und ins Herz geschlossen. Für die Kasseler (Achtung, nicht mit Kassler verwechseln!) ist der Plüschhund zum inoffiziellen Wahrzeichen geworden und bekam den liebevollen Namen “Krümel” .
Adoption mit Hindernissen
Auch für die Zeit nach seinem ruhmreichen Dasein als Kunstwerk war schon ein neues Zuhause geplant und ursprünglich hätte er in der “Wilhelm-Leuschner-Gesamtschule” in Niestetal fortan die Stimmung zahlreicher Schüler und Schülerinnen aufhellen dürfen – und dem ein oder anderen von ihnen sicher auch Alpträume beschert. Der erste Adoptionsversuch scheiterte jedoch an seiner nicht ganz feuer- und wasserfesten Behaarung, ist Krümel doch ein Sensibelchen und man wollte dann wohl nicht auf den Hund kommen.
Bevor der Hundskopf allerdings obdachlos werden konnte, ergab sich spontan eine Anfrage des Künstlerhauses Bethanien in Berlin, wo er Teil einer Ausstellung zum Thema Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb von April bis September 2023 werden soll. Falls ihr ihn nochmal treffen wollt, solltet ihr euch das im Kalender notieren!
Krümel für Kassel
Und währenddessen ruft eine gewisse Elfi EckArt in Zusammenarbeit mit dem IFM-Netzwerk bereits zu Spenden in Kassel auf, um dem geliebten Zottelvieh eine dauerhafte Bleibe zu gestalten auf dem Hinterhof ihrer Pension “Fenster zum Hof” – was man dann vielleicht umbenennen könnte in “Zur Hundehütte”.
Interessanterweise hat die Bühnenbildnerin Stefanie Oberhoff – welche dem Moondog 2016 Leben eingehaucht hatte – selbst in der Pension während dem letzten Wochenende der documenta residiert und die Besitzerin gewiss zu der Idee angestachelt. Immerhin würde er dann weiter der Öffentlichkeit für künftige Selfies mit einem Star zur Verfügung stehen – wenn auch hinter Plexiglas, damit ihm niemand die Krümel aus dem Fell klaubt.
Bis dahin harrt der viel gereiste Koloss nun in Einzelteilen zerlegt in Frankfurt aus und reicht dort vielleicht anderen vergessenen Berühmtheiten wie Fuchur seine tröstende Pfote.

Autor: SmileGlobetrotter
Quellen: