Wer einmal in Davos unterwegs ist, der wird mit Sicherheit auch auf den Spuren von Thomas Mann wandeln – ob es ihm bewusst ist oder nicht. Denn der Ort und seine Bergwelt ist Schauplatz seines berühmten Werkes “Der Zauberberg”.
Der über 1000 Seiten dicke Wälzer ist keine einfache Lektüre. Man braucht viel Zeit und Ruhe, um sich dieser Weltliteratur zu widmen – genau das, was man in der höchstgelegenen Gemeinde der Schweiz finden kann!


Eine Stätte der Ruhe und Kontemplation
Als Thomas Mann 1912 nach Davos kam, um seine Frau Katia Mann auf ihrer dortigen Kur wegen eines Lungenkatarrh zu besuchen, war die Gegend bereits weit über die Landesgrenzen hinaus als Höhenkurort bekannt. Das wohlhabende Bürgertum stieg in eines der 25 luxuriösen Kurhotels oder 14 Privatsanatorien ab. Für die Arbeiterschicht wurden 8 Volkssanatorien und 216 Pensionen eröffnet. Auf die rund 8000 ganzjährigen Bewohner kamen 25.000 Patienten jedes Jahr. Dank der kurz zuvor eröffneten Zugverbindung wurde das ehemalige Bergdorf für jeden erreichbar.
In einer Zeit zwischen den Weltkriegen, war es ein Ort der Heilung. Eine Zuflucht fernab der brutalen Realität eines von Krisen und Kriegen gebeutelten Europas. Und nicht wenige Patienten blieben für lange Zeit, wenn nicht sogar für immer.
Für Thomas Mann bot sich hier die Inspiration zu einem Literatur-Klassiker. Aufgrund seiner Eindrücke und anhand von Briefen, die seine Frau ihm aus dem Sanatorium schrieb, entstand sein Roman, den er 1924 nach einer mehrjährigen Pause und einem weiteren Besuch in der Schweiz fertig stellte.
Der Schauplatz und seine Charaktere
Ähnlich wie Thomas Mann selber, ist Hans Castorp – Hauptfigur in seinem Roman “Der Zauberberg” – eigentlich kerngesund. Er besucht in einem Davoser Sanatorium seinen Vetter, der wegen Anzeichen von Tuberkulose sicherheitshalber von den Ärzten in Davos behalten wird. Castorp – fasziniert vom Leben im Sanatorium – definiert das Bild des kranken Menschen für sich ganz neu. Die Krankheit veredle den Menschen, meint er. Gesunde Menschen hingegen seien lediglich einfältig. Das Leben im Sanatorium wird für Castorp zum Maß aller Dinge.
“Sie [Hans Castorp und Joachim Ziemßen] hatten die unregelmäßig bebaute, der Eisenbahn gleichlaufende Straße ein Stück in der Richtung der Talachse verfolgt, hatten dann nach links hin das schmale Geleise gekreuzt, einen Wasserlauf überquert und trotteten nun auf sanft ansteigendem Fahrweg bewaldeten Hängen entgegen, dorthin, wo auf niedrig vorspringendem Wiesenplateu, die Front südwestlich gewandt, ein langgestrecktes Gebäude mit Kuppelturm, das vor lauter Balkonlogen von weitem löcherig und porös wirkte wie ein Schwamm, soeben die ersten Lichter aufsteckte.”
Auszug aus “Der Zauberberg”
Dabei spielt die Handlung in einer Mischung aus den größten Sanatorien von Davos: im wesentlichen die “Schatzalp“. Sie war der erste Stahl-Beton-Bau der Schweiz, öffnete zu Weihnachten 1900 seine Pforten und bot dem betuchten, internationalen Klientel ausgesprochene Superlative: Ein elektrischer Aufzug, Fußbodenheizung, Telefon, geheizte Badewannen, heizbare Toilettensitze, Speisenaufzüge mit Rechauds für den Zimmerservice, tiefe Balkone, Rodelbahn, Schach- und Konversationszimmer, Rauchzimmer und Damensalon, Bibliothek, später Röntgen. Man bot einen Friseur, ein Postamt, eine Dunkelkammer und elektrische Lampen im Zimmer.
Als Gast speiste man mehrmals am Tag, hatte 1. und 2. Frühstück, 7-9 Gänge zu Mittag und etwa 10 Gänge des Abends. Damals wie heute gibt es auch einen unterirdischen Verbindungsgang zwischen Hotel und Bergstation der Bahn. So wurde es den Besuchern ermöglicht, in einer abgeschlossenen Welt zu bleiben.

Nach der Entdeckung von Penicillin und der Entwicklung von Medikamenten gegen Tuberkulose ging die Epoche der Kuranstalten Anfang der 50er-Jahre jäh zu Ende. So wurden die Sanatorien zu Luxus-Hotels umgebaut und wandelten sich rasch zu den heutigen Oasen für Erholungssuchende und Sportbegeisterte.
Einiges lässt sich aber immer noch bestaunen, da an der Fassade und der Einrichtung nur wenig verändert wurde. Die Jugendstil-Architektur des Sanatoriums ist erhalten geblieben und das Ambiente noch fast wie vor 100 Jahren. Die Terrassen, wo einst die Sanatoriums-Patienten ihre Tuberkulose auskuriert haben, dienen heute dem Sonnenbad der Hotel-Gäste. Wer sich dort aufhält, kann sich leicht vorstellen, wie Hans Castorp und sein Vetter Joachim Ziemßen stundenlang auf den Balkonen liegen und die frische Höhenluft einatmen.
Direkt neben der Lobby liegt der Speisesaal, in den man hinein lugen kann und die Türen sieht, die Madame Chauchat zuknallte, bevor sie sich ihrer Tischgesellschaft anschloss und Hans Castorp sie vergötternd beäugte. Ebenso kann man auf den Fluren schreiten und nach dem Zimmer mit der Nummer 34 suchen, das Castorp zwischen seinem Vetter und dem etwas saloppen und lauten russischen Ehepaar bewohnte. Die Heizkörper in den Zimmern haben immer noch eine kleine Öffnung eingebaut, um abends der täglich bereitgestellten Milch im eigenen Privatraum zusprechen zu können.
So wie Hans Castorp dort sieben Jahre statt der geplanten drei Wochen blieb, verstreicht die Zeit bei einem Aufenthalt in der Landschaft von Davos einfach nach eigenen Gesetzen.





Die Zeit danach
Fünf Jahre nach der Veröffentlichung des Romans erhielt der Schriftsteller den Literatur-Nobelpreis in Schweden, was sein Gesamtwerk unsterblich machte. So, wie es sich Thomas Mann in seiner Rede zum 50. Geburtstag vermutlich vorgestellt hatte: “Wenn ich einen Wunsch für den Nachruhm meines Werkes habe, so ist es der, man möge davon sagen, dass es lebensfreundlich ist, obwohl es vom Tode weiß.”
Lange Zeit galt sein Werk noch als rufschädigend für Davos und es bedurfte einige Jahre der Aussöhnung. Schließlich ist ihm aber ein großer Teil der Entwicklung zu einer gewissen Berühmtheit als Ortes von Kultur zu verdanken.
Im Jahre 2006 wurde endlich eine große Thomas-Mann-Gedenktafel eingeweiht und die Gemeinde Davos benannte damals auch den Bergwanderweg nach ihm, der vom Waldhotel Davos zum Thomas-Mann-Platz auf der Schatzalp führt. Die gut einstündige Wanderung führt an Schauplätzen des Romans vorbei, wie etwa dem Lieblingsplatz von Hans Castorp.

Zwei Jahre später ließ die Stadt am „Thomas-Mann-Weg“ zehn literarische Stationen mit zehn Texttafeln errichten, auf denen Ausschnitte aus dem Zauberberg enthalten sind.
Zum besseren Verständnis dieser Texttafeln und des Romans verfasste Marianne Rott auch einen reichhaltig illustrierten Begleitband mit umfangreichem Kartenmaterial. Dieser steht jedem Interessierten als Weg-Lektüre oder als Vorbereitung auf die Wanderung zum Download zur Verfügung.
Damit man sich nicht in den Zeilen oder der zauberhaften Bergwelt verliert, die noch immer wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint.
Autor: SmileGlobetrotter
Quellen:
- Historische Fotos: https://www.waldhotel-davos.ch/de/geschichte/waldsanatorium-thomas-mann/
- Thomas-Mann-Archiv: https://tma.ethz.ch/
- https://www.wiederunterwegs.com/schatzalp-zauberberg-davos/
- https://www.davos.ch/fileadmin/user_upload/dokumente/Service/Medien/DDO/Medientext_Zauberberg_Th-Mann_de.pdf
- Download des literarischen Wanderführers: http://www.thomas-mann-weg-davos.de/