Bäume für Beuys

Wer schon mal in Kassel war, dem sind bestimmt auch die zahlreichen Bäume aufgefallen, neben denen ein großer Steinblock steht. Insgesamt gibt es knapp 7000 davon in der ganzen documenta-Stadt verteilt. Sie sind das Resultat und Teil eines riesigen, weiterhin wachsenden Kunstprojektes.

Starke Gegenwehr

Als Joseph Beuys mit Hut und Schaufel am 16. März 1982 auf dem Friedrichsplatz vor dem Fridericianum erschien, war der Unmut der Bevölkerung enorm. Zur documenta 7 pflanzte er das erste Bäumchen und formierte einen großen, keilförmigen Haufen aus 7000 Basalt-Stelen mit dem Ziel binnen fünf Jahre jeden einzelnen Stein in der Stadt zu platzieren und daneben jeweils einen Baum zu setzen.

Die geballte Ladung von rund 2300 Tonnen Gestein verschandelte nach Meinung der Stadtbewohner das Bild und erinnerte sie an ein kriegs-zerstörtes Kassel. Der Einzelhandel und viele Bürger waren besorgt um die Verdrängung von Parkplätzen. Anwohner wollten kein herabfallendes Laub, herabfallenden Vogeldreck oder tropfendes Harz. Man machte sich Gedanken um die Verkehrssicherheit und die Verwaltungsarbeit – letzteres wurde durch das Motto der Aktion „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ weiter angeheizt.

Dienststellen von Telekom, Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerken, von Planungs-, Tiefbau- und Stadtgartenamt mussten alle ihr Einverständnis geben und dies war mit erheblichem Zeitaufwand verbunden. Auch die Organisation mit Rücksicht auf die begrenzten Pflanzzeiten und den richtigen Standort für jede Baumart musste vom Koordinationsbüro der „Freien Internationalen Universität“ aus geklärt werden.

Selbst in der Kunstszene war man sich genau wie in der Politik uneins. Es war ein Hauptaspekt dieses Projekts – wie von jeder Beuys-Kunst – Autoritäten herauszufordern und sie als konservativ zu entlarven.

Kreative Finanzierung

Nachdem er die behördlichen Genehmigungen dank seines Argumentations-Genies erhalten konnte, stellte allerdings die finanzielle Bewerkstelligung ein wirkliches Problem dar. Es wurden rund 500 Deutsche Mark je Skulptur an Kosten veranschlagt – oder 4,3 Millionen DM Gesamtkosten. 

Zunächst starteten sie mit dem Budget der documenta und der New Yorker „Dia Art Foundation“. Es wurden Zertifikate für jeden Pflanzort verkauft. Danach musste Beuys kreativ werden. Er verkaufte Eichen-Poster und vermarktete – fünf Mark pro Zettel – sogar sein Autogramm.

Schließlich drehte er einen Werbe-Spot im asiatischen Fernsehen für einen japanischen Whisky und bekam für seinen Hut-Auftritt eine halbe Million Dollar. 34 Künstlerkollegen ließen in einer Hilfsaktion eigene Werke versteigern für eine weitere Million Mark – darunter Andy Warhol, Robert Rauschenberg und Jannis Kounellis.

Und dann ließ er die Zarenkrone Iwans des Schrecklichen einschmelzen!

Der goldene Friedenshase

Die Replik hatte der Düsseldorfer Gastronomen Helmut Mattner Anfang der 60er Jahre von einem Juwelier nach dem Original anfertigen lassen, um sie in seiner Altstadt-Nobelkneipe „Datscha“ auszustellen und sie zuweilen an besonders zahlungswillige Gäste mit Sekt darin herumzureichen.

Es war ein altes Symbol autokratischer Herrschaftsform, abgewirtschaftet im Kitsch der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft und ein wie für Joseph Beuys geschaffenes Demonstrationsobjekt zur Vorführung seiner Idee der „Sozialen Plastik“. Verbrauchte Begriffe und Formen in der Gesellschaft sollten umgeschmolzen werden, zum Wohle des Menschen und der Natur – damit sie heilen können.

„Es soll also auf die Umgestaltung des gesamten Lebens, der gesamten Gesellschaft, des gesamten ökologischen Raumes hingewiesen werden mit einer solchen Aktion.“ 

Trotz organisierter Proteste des Juweliergewerbes und aufgebrachter Bevölkerungskreise machte er eine alchimistische Vorführung daraus. Mit viel Tamtam brach er die Krone in Stücke und brachte das Gold zum Schmelzen, um es in eine neue Form zu gießen: eine goldene Sonne und einen Hasen.

Hase: ein Tier, das er Zeit seiner Aktionen immer wieder als Zeichen der Liebesverbindung von Himmel und Erde, der Beweglichkeit und des Friedens, sowie des Zusammenhangs von Ost und West (EURASIA) eingesetzt hatte.

Während der 100 Tage documenta konnte der Friedenshase zusammen mit den Juwelen aus der Krone besichtigt werden. Danach ersteigerte sie für 777.000 Mark, welche in die weitere Finanzierung der Eichen flossen, der Sammler Josef W. Fröhlich. Heute befindet er sich in der Staatsgalerie in Stuttgart.

Opposition wandelt sich

Auch die Gegner von Beuys waren indes recht kreativ und störten die laufende Pflanzkampagne. So wurde anfangs der Steinhaufen mit rosa Farbe übergossen. Rabiatere Vandalen stahlen Stämme, warfen Basaltsäulen in einen Bach und knickten nachts auch schon mal frisch gepflanzte Stämme. Wieder andere bepinselten Beuys-Stelen an der Ludwig-Mond-Straße mit schwarzen Kreuzen, nachdem ein Motorradfahrer dort durch Kollision mit einem Auto an einem Stein ums Leben gekommen war. 

So wie in der Verwaltung, musste auch in den Köpfen der Bewohner zunächst ein Umforsten stattfinden. Mit der Zeit wurde die Duldung immer größer und die Liebe zur Natur übernahm die Oberhand.

„Die Bäume sind wichtig, um die menschliche Seele zu retten.“ Und: „Kunst ist die einzige Form, in der Umweltprobleme gelöst werden können.“

Am 23. Januar 1986 starb Joseph Beuys. Knapp ein Jahr später pflanzten seine Frau Eva und sein Sohn Wenzel zur Eröffnung der documenta 8 auf dem Friedrichsplatz die Eiche Nummer 7000 neben der ersten Eiche. Und wie bei jeder einzelnen befindet sich an ihrer Seite eine sechseckiger Stele aus Millionen Jahre alter Lava-Kristallisation. Sie macht den Baum erst zur Skulptur und verdeutlicht die Dualität im Nebeneinander von Erstarrtem und Wachsenden, von Tod und Leben – davon abgesehen, dass der Basalt über einen langen Zeitraum auch Spurenelemente an die Wurzeln der Bäume abgibt.

Tatsächlich sind es nicht nur Eichen – auf deren mythische, spirituelle und historische Bedeutungen Beuys anspielen wollte – sondern etwa 20 verschiedene Baumarten. Auch Eschen, Linden, Platanen, Robinien, Kastanien, Ahorne, Zierkirsche und sogar ein Gingkobaum schmücken letztendlich das Stadtbild. Sie steigern die Lebens-, Luft- und Kleinklimaqualität deutlich.

Weite Kreise

40 Jahre später steht das gesamte organisch-anorganische Kunstwerk unter Denkmalschutz. Da es permanente Pflege bedarf, wurde ein Verein ins Leben gerufen und 2002 zur Stiftung erklärt. Immer wieder kommt es auch zu Baumfällungen und nötigen Ersatz-Pflanzungen. Ebenso bleiben Diskussionen über die Bewässerung nicht aus.

Aber man ist sich in Zeiten von Klimawandel und Umweltschutz darüber einig, dass Beuys ein Visionär war. Was ursprünglich ein höchst umstrittenes Pilotprojekt war, ist heute aus künstlerischer, sozialer und ökologischer Sicht aktueller denn je. Andere Städte – wie Chicago – wurden inzwischen von den „7000 Eichen“ zu vergleichbaren Pflanzaktionen inspiriert.

Jahrelang hat die Stiftung des Museums „DasMaximum“ Eichen in New York pflanzen lassen und seit 2015 eine Aktion in Traunreut gestartet, die weiter wuchs. Der 100. Geburtstag von Beuys im Jahre 2021 wurde zum Anlass genommen, die Pflanzungen bayernweit voranzutreiben und weitere Basalt-Stelen zu gewinnen. Jeder, der sich daran beteiligen möchte, wird Teil dieses einzigartigen globalen Kunstwerkes.

Beuys Meinung war ohnehin:

„Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Und „Es ist ja ein Merkmal von großer Kunst, dass sie sich überhaupt nicht aufdrängt, sondern vollkommen eingeht, fast verschwindet in der Natur.“

Wer eine Baumpatenschaft übernehmen möchte, wendet sich an die Museumsleiterin Birgit Löffler (Telefon: 086 69/120 37 13, E-Mail: Eichen@dasmaximum.com)

Autor: SmileGlobetrotter

Quellen:

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