Die Transsibirische Eisenbahn von Italien

Im schönsten Oldtimer-Zug des Landes kann man auf traditionellen Holzbänken und im Schneckentempo durch verschlafene Dörfer und über historische Brücken einen fast vergessenen Teil Italiens entdecken.

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Bitte alles einsteigen!

Morgens starten wir vom Bahnhof in Sulmona – einem kleinen Ort, der weltweit berühmt ist für seine Confetti (bunte Zuckermandeln), dem römischen Dichter Ovid und einem historischen Aquädukt aus der Zeit des Staufenkönigs Friedrich II. Doch Sulmona ist nur der Ausgangspunkt einer faszinierenden Bahnreise in das Herz der Region Abruzzen, die sich fast wie eine Zeitreise zurück ins alte Italien anfühlt.

Unterwegs werden wir von traditionellen Musikern durch Gesang und Akkordeon unterhalten, die singend und tanzend durch den Zug ziehen. Man muss ihre Sprache nicht verstehen, um sich von der guten Laune anstecken zu lassen – selbst Italiener können nicht immer dem Abruzzesisch folgen.

Darüber vergisst man beinahe die unbequemen Sitze und die schlechte aber ebenso traditionelle Heizung. Spätestens der Ausblick sollte uns jedoch reichlich entschädigen. Es geht mit stetiger Langsamkeit vorbei an endlosen, ehemaligen Sommerweiden für Schafe. Die Schafzucht gehörte zu den wichtigsten Erwerbsquellen in der Region. Im Herbst wurden die Tiere auf die Eisenbahnwaggons verladen, damit sie im wärmeren Apulien den Winter verbringen konnten.

Wir erleben Bahnüberführungen, die sich oft in schwindelerregender Höhe über Schluchten und Täler erstrecken und einem das Gefühl geben, dem Himmel näher zu sein als der Erde.

Neben dem kontinuierlichen Höhenanstieg von einigen hundert Kilometern ist die Route sehr kurvenreich und führt durch insgesamt 58 Tunnel, von denen der längste unter dem Monte Pagano über 3 km misst!

Kurz nach dem Maiella-Tunnel erreichen wir den Bahnhof Rivasondoli-Pescocostanzo. Dieser liegt auf 1226 Metern Höhe und rühmt sich, nach dem Brenner der zweithöchste Bahnhof in Italien zu sein. Er ist überdies berühmt geworden als Drehort für den Film “Straziami, ma di baci saziami”.

Es gibt neben den alten Brücken und historischen Wasserleitungen auch eine ganze Reihe von naturalistischen Juwelen, wie dem Reservat Quarto di Santa Chiara. Immer wieder zeigen sich mystische Einsiedeleien wie Madonna dell’Altare auf den Berghügeln der zentralen Apenninen.

Und dann sehen wir Roccaraso, wo im Winter die Endstation liegt. Hier vergnügte sich einst die Königsfamilie der Savoyen, bevor es von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört wurde. Die Gemeinde lag auf der Gustav-Linie, hinter der sich die Wehrmacht im Herbst 1943 verschanzte und wo sie im November ein Massaker an 128 Menschen verübte. Heute ist es zu einem der beliebtesten Ski-Gebiete Italiens geworden.


Die Fahrt geht schließlich bis nach Isernia, der Hauptstadt der Region Molise. Hier bekommen wir die Gelegenheit für einen Spaziergang durch das herrliche Grün und für ein Essen nach Slow-Food-Tradition. Bevor es mit weiteren Gläsern besten Rotweins und einem Stück Ziegenkäse zum Schließen des Magens und der Geruchsnerven schließlich wieder nach Sulmona zurück geht.


“Das Reisen mit der Parkeisenbahn ist nicht nur eine Zugfahrt, 
sondern eine großartige kleine Geographiestunde,
die durch das Fenster fließt.”


Stationen der Zeit

Dieses Schienennetz wurde ursprünglich entwickelt, um Neapel – “Hauptstadt des Südens” – mit den mittleren Regionen der Abruzzen und Molise zu verbinden. Die Arbeiten begannen 1892 und endeten nach nur fünf Jahren, was das Projekt zu einem der gewaltigsten Ingenieurwerke des Landes macht – besonders wenn man die damaligen Fachkenntnisse und technischen Mittel bedenkt.

Eingeweiht wurde sie am 18. November 1897 mit einer Strecke von 129 km, erreichten Steigungen von bis zu 28 % und einem Höhenunterschied von 348 Metern über dem Meeresspiegel in Sulmona bis 1268 Meter in Rivisondoli-Pescocostanzo. Und trotz der häufigen Erdbeben in der Region haben die Konstruktionen allen Widrigkeiten standgehalten.

Bis sie im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt wurden und erst 1960 vollständig reaktiviert werden konnten.

Viele nutzten den Zug um nach Neapel zu gelangen und von dort aus in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Andere wiederum verwendeten ihn für den täglichen Pendelverkehr: Frauen, die zum Wochenmarkt nach Sulmona fuhren oder Jugendliche, die zur Schule mussten. Anders als heute, wo ausschließlich die Rentabilität zählt, war es früher erklärtes Ziel, auch die entlegensten Dörfer an die Hauptverkehrsverbindungen anzuschließen.

Doch mit der Zeit nahm die Anzahl der Passagiere ab und am Ende waren es nur wenig mehr als 2000 im Jahr. Viele Züge wurden gestrichen und die Uhrzeiten so umdisponiert, dass Schüler und Berufstätige mit dem Bus oder dem Auto vorliebnehmen mussten.

Da es sich für die Staatsbahn FS nicht mehr rentierte, wurde der Verkehr am 31. Dezember 2011 endgültig eingestellt.

Dies war ein Sakrileg für den Verband LeRotaie aus Isernia, der sich bisher hauptsächlich der Sammlung alter Zugmemorabilien gewidmet hatte. Ihnen ging es nicht nur um die Bahn, sondern auch um die Geschichte des Territoriums und seiner Bewohner. Dank vier Jahren ehrenamtlicher Arbeit wurde im März 2014 die Transiberiana d’Italia als historische Eisenbahn wiedereröffnet.

Seitdem hat sich der Zug zu einer beliebten Touristenattraktion entwickelt, die Besucher aus aller Welt anzieht. 2019 zählte die Transiberiana d’Italia, die nur Samstag + Sonntag sowie an Feiertagen fährt und jeweils dreihundertdreißig Plätze bietet, die Rekordzahl von 31.500 Passagieren.

Jedes Jahr stellt der Verein einen Veranstaltungskalender zusammen. Dazu gehören Themenfahrten, bei denen die Reisenden die Möglichkeit haben, an Bord verschiedene Aktivitäten zu erleben, wie zum Beispiel Weinverkostungen oder kulturelle Veranstaltungen. Und die Reiserouten ändern sich jeden Monat. Dabei hat jede Jahreszeit ihren ganz eigenen Reiz.

Im Winter bringen die “Schneezüge” ihre Fahrgäste zu den Weihnachtsmärkten in den Dörfern, während im Frühjahr und Sommer die abgelegenen Orte mit Ständen und Initiativen aller Art von einer neuen Seite entdeckt werden können.

Bei den verwendeten Wagen handelt es sich um die sogenannten “Centoporte” aus den 30er Jahren mit suggestivem Interieur und Holzsitzen, sowie “100 Türen”.

Warum der verwirrende Name?

Offiziell heißt der Zug Ferrovia dei Parchi (Eisenbahn der Parks), weil er sowohl den Nationalpark des Bergmassivs Maiella als auch den Nationalpark der Abruzzen durchquert. Viele Bewohner dieser Gebiete nennen ihn immernoch “die Neapolitanerin”, wegen der direkten Verbindungen von und nach Neapel früher.

Weitaus bekannter ist er aber unter dem Namen “Transiberiana d’Italia“, den er dem Journalisten und Schriftsteller Luciano Zeppegno verdankt. Er verglich 1980 in seinem Artikel für die Zeitschrift “Gente Viaggi” die verschneite Landschaft des großen Hochlandes der Abruzzen mit der fernen sibirischen Steppe. Wenn der Zug nach dem 2,5 Kilometer langen Tunnel aus dem Maiella Massiv herauskommt und man die weite Hochebene dahinter erblickt, macht dieser Ausdruck durchaus Sinn -vor allem im Winter gibt es nichts als weiße Weite.

Dreißig Jahre später hat der Kulturverein LeRotaie den Namen erneut aufgegriffen, um das Interesse der öffentlichen Meinung anzuheizen.

Eine Fahrt mit der Transiberiana d’Italia bietet den Reisenden heute einerseits die Möglichkeit, die atemberaubende Schönheit der mittel-italienischen Landschaft zu erleben und gleichzeitig in die reiche Geschichte der Region einzutauchen. Und dafür ist der Name allemal nicht zu viel versprechend.

Autor: SmileGlobetrotter

Quellen:

2 Gedanken zu „Die Transsibirische Eisenbahn von Italien“

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